Noch vor einigen Jahren spielten Meldungen zum Gesundheitswesen eine wichtige Rolle in den Nachrichten und Schlagzeilen; z.B. Gesetzliche und Privatversicherung einerseits oder Bürgerversicherung auf der anderen Seite, Fragen nach der Versorgung durch Hausärzte in der Stadt und vor allem auf dem Land, die Qualität und die Kosten der Behandlung in den Kliniken usw. Die Bundesgesundheitsministerin bzw. der Bundesgesundheitsminister waren Dauergäste in den Fernsehstudios. Inzwischen ist es merkwürdig still geworden, um Gesundheit, Krankheit, Praxen und Krankenhäuser. Möglicherweise sind die Probleme ja nicht mehr so groß wie früher. Oder aber es liegt daran, dass sich andere Fragen in den Vordergrund gespielt haben und das Thema Gesundheitswesen verdrängen.
Dann wird aber auch plötzlich wieder aufgeschreckt, z. B. wenn man erfährt, wie lange ein Kassenpatient auf einen Facharzttermin warten muss, nämlich nicht selten bis zu drei Monate. Dieses Problem hat Anfang dieses Jahres dazu geführt, dass die kassenärztliche Vereinigung eine Clearingstelle eingerichtet hat, um zu gewährleisten, dass es wenigstens in dringenden Fällen nicht länger als vier Wochen dauert, bis man als Kassenpatient einen Termin beim Facharzt bekommt.
Schließlich werden wir in diesem Jahr erleben, ob unser Gesundheitssystem dafür gerüstet ist, rund eine Million Neubürger zu versorgen, die binnen eines Jahres ins Land gekommen sind; und es werden ja noch mehr werden.
Ich denke, dass wir deshalb mit unserer heutigen Veranstaltung nicht aus der Zeit gefallen sind. Das Thema Gesundheit und Gesundheitswesen wird uns sicherlich weiterhin begleiten.
Und dann erleben wir ja gerade, dass das Thema Europa, und das heißt ja nicht zuletzt immer die Beziehung Frankreich-Deutschland, sehr akut ist. Das ist bestimmt ein wichtiger Grund, warum wir gerade jetzt immer wieder einen Blick über den Rhein werfen sollten.
Dass es dann auch lohnt, das Gesundheitswesen jenseits de Rheins genauer anzuschauen, mögen ein paar Zahlen belegen:
- Im Jahr 2013 gaben die Deutschen 11% und die Franzosen 10,9% ihres Bruttosozialprodukts für ihre Gesundheitswesen aus, also ungefähr gleich viel.
- In Frankreich gibt es jedoch bei geringerer Bevölkerungszahl viel mehr Allgemeinärzte als in Deutschland, fast doppelt so viele.
Und dann hat Frankreich wesentlich mehr Krankenhäuser als Deutschland: 2100 gegen 2750, in Frankreich sind darunter viele kleinere Häuser auf dem Land; die Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2012. - Und dann hat die WHO, die Weltgesundheitsorganisation, das französische Gesundheitswesen als eines der besten der Welt gelobt; das ist zwar schon eine Weile her, es war im Jahr 2000.
Aber all das zeigt, dass sich der Blick über den Rhein lohnt, auch um das dortige Gesundheitssystem kennen zu lernen.
1. Wie die Gelder für die Gesundheitsversorgung „eingesammelt“ werden, wie Rüdiger Bloch das so schön formuliert hat:
In Deutschland gibt es zwei Wege:
- Die gesetzlichen Krankenkassen, die die sogenannte Solidargemeinschaft bilden, deren Beiträge sich nicht sehr stark unterscheiden und deren Einnahmen über den Gesundheitsfonds an die Kassen entsprechend ihrer Ausgaben verteilt werden. Außerdem müssen Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen für bestimmte Leistungen, z. B. Medikamente, eine gewisse Eigenbeteiligung bezahlen.
- Und dann gibt es als zweiten Weg die privaten Krankenversicherungen, die sich aus der Solidargemeinschaft verabschiedet haben.
In Frankreich besteht ein abgestuftes System der Finanzierung der Gesundheitskosten: Den Großteil zahlen die Versicherten, einen Teil die Arbeitgeber, ein Teil wird aus Steuereinnahmen bestritten.
2. Wie ist die ambulante Versorgung zu beurteilen?
Wenn ich es richtig interpretiere, ist bei Herrn Bloch etwas Melancholie durchgeklungen, dass der Allgemeinarzt ein bisschen ins Abseits geraten ist, während in Frankreich der Médecin généraliste – der Arzt für Allgemeinmedizin – le pivot, die Drehachse der ambulanten Erstversorgung ist.
3. Klinikversorgung: Wie ist sie in den beiden Ländern zu bewerten?
In Deutschland gibt es eine starke Konzentration und eine Ausrichtung auf Wirtschaftlichkeit.
Stichwörter sind: Fallpauschalen, Schaffung größerer Einheiten, modernes Management. Und doch sind die Finanzierungsprobleme immer noch groß, wie Dr. Böhm dargestellt hat.
In Frankreich ist die Struktur viel kleinteiliger als in Deutschland, trotzdem verläuft die Entwicklung, die Prof. Misset dargestellt hat, ähnlich wie bei uns: Einführung der Fallpauschalen schon im Jahr 2000, Wegrationalisierung und Fusionierung kleiner Krankenhäuser und modernes Management gehen in die gleiche Richtung wie die Entwicklung in Deutschland: Schaffung größerer Einheiten und Betonung der Rentabilität. Allerdings ist die Sache wohl noch nicht so weit fortgeschritten wie bei uns.
Februar 2016
Ralf Kröner